Am Sonntag nahm ich mir die Zeit, der Vereinskonferenz des Deutschen Schachbundes zu folgen. Oberthema war die Frage der Mitgliedergewinnung und -bindung. In Pandemiezeiten spielte dabei der Onlinebereich naturgemäß eine dominierende Rolle. Es begann mit einem langen Impulsvortrag von Raik Packeiser, Inhaber einer PR-Agentur und hochrangiger Tennisfunktionär. Mit schönen Tafeln und und einer angenehmen Sprechstimme war ihm sehr gut zu folgen. Vieles von seinem Vortrag ist natürlich nicht neu oder gar überraschend, wenn man sich eine geraume Zeit mit Öffentlichkeitsarbeit befaßt hat. Zunächst gab er eine systematische Übersicht über Begriffe wie PR. Marketing, Werbung etc. Diese unterscheiden sich durch die Perspektive, die sie auf die Kommunikation von Anbietern mit der Öffentlichkeit haben. Dann natürlich der notwendige Hinweis auf die Verschiedenheit von Zielgruppen. Bevor man Arbeit in öffentliche Aktionen steckt, muß man sich überlegen, wen man eigentlich ansprechen will, denn davon hängt nicht nur ab, wie, sondern vor allem auch wo man tätig wird? Interessanterweise wies er sehr deutlich auf die Möglichkeit hin, in der Öffentlichkeit mit einem Gartenschach aufzutreten. In der Tat haben wir damit bei dem Gänselieselfest sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir sollten uns für die Postpandemiezeit aber überlegen, wo wir es noch einsetzen können. Für einen Einmal-pro-Jahr-Einsatz ist es eigentlich zu schade. Aber Vorsicht: ein 3 × 3 m-Brett kann man nicht spontan aufbauen, sondern das muß mit den Verkehrsverantwortlichen abgesprochen werden. Mit dem Gänselieselfest ist noch ein zweiter Vorschlag Packeisers abgedeckt, nämlich einmal pro Jahr eine Highlight-Aktion zu machen.
Etwas überraschend kam für mich seine Geringschätzung von gedruckter Presse. Seiner Ansicht nach lohnt sich angesichts sinkender Auflagen das Beliefern der Redaktionen für Vereine kaum noch. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das wirklich so ist. Selbst wenn die Zahl der Zeitungsleser stark abnimmt, zeigt das Publizieren in Medien mit engem redaktionellen Gatekeeping immer noch Relevanz an. Es gibt schon etwas her, Zeitungsartikel an schwarzen Brettern aushängen zu können. Zudem erscheinen diese Artikel heute zumeist ja auch online. In der Wissenschaft hat man das bis zum Exzeß getrieben. Artikel haben dort selten mehr als zehn Leser, und trotzdem sind sie die wesentliche Währung des akademischen Reputationsmanagements.
Bei der Webseite machen wir schon eine ganze Menge richtig. Eindringlich wurden wir darauf hingewiesen, viele Bilder und Videos und eher wenig Text zu verwenden. Tatsächlich war es eine meine Überlegungen bei der Neugestaltung der Webseite, daß sie die vielen Handyfotos, die z. B. von den Turnierfahrern ohnehin gemacht werden, schlucken soll. Die Empfehlung, Text nur in Snippetgröße zu verwenden, wird aus isolierter PR-Sicht seine Richtigkeit haben. Aber die Webseite beschränkt sich eben auch nicht auf diese Funktion. Sie dient halt auch der internen Kommunikation der peer group, also der Vereinsmitglieder zuvörderst, aber auch mit den Schachspielern anderer Vereine, denen wir durch den Ligabetrieb verbunden sind. Die lesen ausgedehnte Berichte über Mannschaftskämpfe (also von Veranstaltungen, an denen sie selbst beteiligt sind) durchaus gerne.
Verhältnismäßig umfangreich referierte er dann zum Thema der sozialen Netzwerke. Das Problem hier ist, daß diese auf Interaktion abzielen. Das heißt, wer nicht selbst liked, folgt, teilt, kommentiert und antwortet, wird mit seinen Postings nicht wahrgenommen, weil sie niemandem angezeigt werden. Um das zu leisten, solle man sich auf zwei Kanäle beschränken, und das wären z. Zt. Facebook und Instagram, weil diese Netzwerke gut für eine hohe Zahl an Kontakten sind. Twitter, wo zuletzt deutlich vermehrt Aktivitäten niedersächsischer Schachspieler zu beobachten sind, ist eher für wenige, aber hochqualitative Kontakte zu Experten und Entscheidern gut. Grundsätzlich lohnt es sich im Netz nicht, etwas zu machen, was andere auch schon tun, weil die Zielgruppe hier schon verteilt ist. Deshalb solle man die Auftritte mit thematischen Besonderheiten ausstatten, z. B. Themenschwerpunkte wie Schach und Ernährung o. ä. Dazu muß ich sagen, genuinen Content für soziale Netzwerke zu erstellen, steht bei mir auf der Agenda sehr weit hinten. Warum die Schachsparte keine Social-Media-Kanäle unterhält, hatte ich erst kürzlich erläutert. Aber hier kommt ein anderer Rat Packeisers ins Spiel: man muß lernen, Verantwortung zu teilen und mit dem Unfertigen und Suboptimalen zu leben. Wenn ein Mitglied Lust hat, einen Kanal über Schach auf irgendeiner Plattform im Namen des ESV Rot-Weiß Göttingen zu betreiben, soll es das halt tun. Es sollte Bullshit-Inhalte und möglichst auch Streitigkeiten vermeiden, aber sonst hätte es freie Hand. Eines ist mir aber noch aufgefallen, weil mir bei der Neugestaltung der Webseite auch zugetragen wurde, Webseite sei megaout und ich sollte lieber einen Instagramkanal einrichten: Das sieht Packeiser fundamental anders. Die Webseite ist Zentrum der Kommunikationsstrategie für Vereine, und alles andere ist nice to have. Ich vermute, daß der erste Ratschlag eher für Privatpersonen gilt, die keinen hochwertigen Content erstellen können und nur Belanglosigkeiten wie Urlaubsfotos teilen wollen.
Schon an der Länge des Kommentars sieht man, daß ich den Vortrag durchaus anregend fand. Und da das Selbstlob aus allen Poren trieft, sei daran erinnert, daß auch Babette Berghaus an unserer Kommunikationsstrategie einen großen Anteil hat. Bevor ich jetzt noch wesentlich kürzer auf die beiden Vorträge von Schachspielern eingehe, der Hinweis, daß man sich den ganzen Vortrag von Raik Packeiser auf Youtube ansehen kann. Für jemanden, der die Öffentlichkeitsarbeit seines Vereins neu planen will, ist das eine gut investierte Stunde.
Danach liefen zweimal drei Vorträge von DSB-Mitgliedern parallel. Zunächst hörte ich eine Vorstellung des SV Erkenschwick. Dieser Verein hat seit 2010 seine Mitgliederzahl auf ca. 110 verdoppelt und wie wir auch sogar im Pandemiejahr 2020 leicht zugelegt. Grundlage ist hier ein geräumiges Vereinslokal und mehrere langfristig Aktive. Im Jugendtraining kann man gestaffelte Gruppen anbieten und sogar Turnierfahrten ins Ausland. Dazu gibt es soziale Kontakte über das Schach hinaus, so wie es ja auch Hartwig bei uns organisiert. Im Onlineschach nutzt man seit der Pandemie alle Angebote: interne Turniere auf Lichess, DSOL, Quarantäneliga, Analyse über Discord. Das ist uns nicht ganz unähnlich, aber halt alles in doppelt so groß – Gratulation an die Verantwortlichen!
Der zweite Vortrag behandelte Erfahrungen mit Streaming auf Twitch durch den mir von Twitter bekannten Leonid Löw vom Allersberger SC. Auch dieser Verein ist größer als wir und macht eine sehr breite Jugendarbeit. Löw begann nach der Absage des Trainingsbetriebes im März 2020, Training auf Twitch zu streamen. Das hat gegenüber einer Videokonferenz, wie wir sie benutzen, allerdings den Nachteil, daß man nicht direkt miteinander reden kann, sondern sich die Zuschauer nur durch den Chat äußern können. Es hat während der ersten Welle ganz gut funktioniert. Mit der Öffnung im Sommer 2020 kam dann naturgemäß ein Einbruch, von dem sich die Besuchszahlen auch in der zweiten Welle nicht mehr erholt haben, so daß das Angebot im Februar 2021 schließlich ganz eingestellt wurde. Die meisten Zuschauer waren keine Vereinsmitglieder. Ob man die in die Vereine holen kann, sieht Löw skeptisch. Viele Zuschauer würden die stundenlangen Streams auf Twitch nur nebenbei konsumieren. Ein tiefergehendes Interesse wird dadurch nicht angezeigt.
Schön wäre es, wenn man noch alle Vorträge ins Netz stellen könnte. Insgesamt eine Veranstaltung, die sich gelohnt hat und wo der DSB mal alles richtig gemacht hat. Gerne mehr!
Last Updated on April 30, 2021 by Ingram Braun