Einmal im Jahr, gegen Ende der Bundesligasaison, laden die Schachbundesliga und die „Schachfreunde Berlin“ zur „Zentralen (End)Runde der Schachbundesligen“ nach Berlin ein, wo die beiden ersten Bundesligen (= „Schachbundesliga“ und „Frauenbundesliga“) drei Spieltage hintereinander ausspielen, und bei den Frauen in diesem Jahr zudem die Entscheidung im Meisterschaftskampf fiel.
Diese Spieltage werden mit einem umfangreichen Rahmenprogramm vor Ort garniert, so dass Schachfans ein regelrechtes „Schach-Fest“ geboten wird.
In diesem Rahmen veranstalteten der Deutsche Schachbund (DSB) und die Deutsche Schachjugend (DSJ) vom 1.3. bis 3.3. zum 3. Mal die sogenannte „Bundesvereinskonferenz“, zu der sie Vereinsvertreter*innen aus allen deutschen Schachvereinen eingeladen hatten. Für mich als (designierte) stellvertretende Vorsitzende unserer Schachsparte eine super Gelegenheit, aktive Vereinsarbeit mit Austausch und Kontakten zu verbinden sowie mit dem Besuch einer außergewöhnlichen Schachveranstaltung, bei der ich die Gelegenheit hatte, viele Großmeister*innen hautnah zu erleben.
Freitag: 1. Tag der „Bundesvereinskonferenz“:
Zuerst hielt Tom George (SG Blau-Weiß Stadtilm und A-Trainer) einen Vortrag über „Leistungssport im Verein“, indem er viele Aspekte von Leistungssport, Trainingsorganisation im Verein, Gruppentraining und Gruppenzusammensetzung sowie Anforderungen an einen guten Trainer / eine gute Trainerin aufzeigte.
Danach fanden drei Workshops parallel statt, und ich hätte gerne dieses wundersame Instrument namens „Zeitumkehrer“ aus „Harry Potter“ gehabt, mit dem mensch die Zeit zurückdrehen kann. Dann hätte ich nämlich alle drei Workshops besuchen können. So musste ich mich leider mit nur einem begnügen, und ich hatte mich für den Workshop „Sponsoring im Verein“ entschieden. Referent war Dirk Schröter, Sportmarketingberater aus Neuss, und wir haben in Gruppen verschiedene Aspekte des Marketings herausgearbeitet, und das war alles sehr aufschlussreich für mich, weil es einige Teilnehmer gab, die hier schon diverse praktische Erfahrungen gesammelt hatten, und ich fand es spannend, allen zuzuhören. Da ich mich in Sachen „Marketing“ gar nicht auskenne, war dieser Workshop für mich sehr Gewinn bringend.
Nach dem Workshop, der bis 14 Uhr dauerte, fühlte ich mich so „abgefüllt“ mit Infos, Anregungen und Eindrücken, dass ich mich anschließend dem Gewusel im Hotel (sämtliche Veranstaltungen fanden im Hotel Maritim statt) entzog, mich aufs Fahrrad setzte, durch den angrenzenden Tiergarten fuhr und die Eindrücke verarbeitete, die ich aufgenommen hatte. Am Freitag fingen die Bundesligaspiele erst um 16 Uhr an, und ich entschloss mich, nicht zum Hotel zurückzukehren, sondern den Schachtag abzuschließen und lieber Sightseeing und -cycling in Berlin zu machen.
Samstag, 2. Tag:
Vormittags fand die Vereinskonferenz ihre Fortsetzung. Sie begann wieder mit einem Impulsreferat, diesmal mit dem Thema „Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt im Schachverein“ vom Vorsitzenden der Deutschen Schachjugend, Malte Ibs. „Sexualisierte Gewalt“ ist ja derzeit im Zusammenhang mit den Vorfällen in der Katholischen Kirche ein in den Medien verbreitetes Thema, wird anscheinend ansonsten im Sport und gerade im Schach eher als „nebensächlich“ behandelt (?), oder wie Malte in etwa sinngemäß sagte, ein Thema, bei dem man das Gefühl hat: „Naja, wenn‘s denn sein muss, dann befassen wir uns damit halt…“. Und dann hat Malte es geschafft, mit einem sehr lebendigen Vortrag uns Zuhörenden dieses Thema auf eine Weise nahe zu bringen, die die zuvor beschriebene Einstellung in Vergessenheit geraten ließ, stattdessen entspann sich eine lebhafte Diskussion, und wieder habe ich sehr viel mitnehmen zu können.
Mein zweiter Workshop im Anschluss war „Mitgliedergewinnung als strategisches Ziel“ – gehalten von Gerhard Prill vom SC Heitersheim (Baden, Nähe Freiburg).
Gerhard Prill, nun im Ruhestand, hatte eine eigene Firma und hat sein unternehmerisches Denken auch in seinen Schachclub mit eingebracht, was zu neuen Angeboten und einer erhöhten Nachfrage führte, sprich: es kamen viele neue Menschen in den Club.
Doch von einem „Nachfrageüberhang“ ist jedoch auch der SC Heitersheim noch weit entfernt, und der Traum von der „Aufnahme-Warteliste“, den Gerhard Prill schmunzelnd skizzierte, muss weitergeträumt werden… 😉
Auch dieser Workshop endete wieder gegen 14 Uhr, und da die Bundesliga-Partien schon um 13 Uhr begonnen hatten, hatte ich einen nahtlosen Übergang zum weiteren Schach-Geschehen, holte mir meine Freikarte für den Spieltag ab und ging in den Spielsaal, wo ich sie dann alle „in echt“ sah, die Spieler*innen, die ich bislang nur aus Internet-Livestreams kannte (außer Fiona, die ich dann auch gleich am ersten Spieltisch entdeckte).
Das war natürlich ein tolles Erlebnis, und nachdem ich eine große Runde gedreht hatte, um zu gucken, wer so alles da ist, blieb ich schließlich an jenen Tischen stehen, an denen der „Spitzenkampf“ zwischen SV 1930 Hockenheim und OSG Baden-Baden stattfand. Ich schaute zu, wie Viswanathan Anand mit Schwarz gegen Ivan Cheparinov einen möglichen Gewinnweg verpasste und schließlich ins Remis abbog, und Fabiano Caruana gegen Sam Shankland ebenfalls eine vorteilhafte Stellung nicht zum Sieg verwerten konnte.
Zwischendurch besuchte ich die chess24-Livekommentierung im 1.Stock, wo Robert Rabiega mit Jan Gustafsson oder Sebastian Siebrecht ausgewählte Partien kommentierte. Die Akustik in jenem Saal fand ich allerdings ein wenig anstrengend, so dass ich mich ins Hotelfoyer setzte und die Kommentierung über den Internet-Livestream weiterschaute. 😀
Um 20 Uhr schließlich „musste“ ich das Zuschauen bei der letzten noch laufenden Bundesligapartie (!) zwischen David Howell und Arkadij Naiditsch einstellen (nach über 130 Zügen und 7 Stunden Spielzeit immer noch kein Ende), denn nun war ein festliches Abendbuffet angesagt für alle Teilnehmenden der Vereinskonferenz, und neben sehr leckerem Essen gab es wieder einen interessanten Vortrag von Malte, diesmal über ein Bildungsprojekt von Terre des Hommes in Vietnam. Außerdem war Michelle MacLeod von der Firma „Play Magnus“ zugegen, die eine kleine Video-Präsentation der drei Apps aus dem Hause der Firma von Magnus Carlsen vorführte. Michelle bot an, man könne die Apps gerne auf ihrem Smartphone ausprobieren, doch als dann jemand bemerkte, er würde gerne auf ihrem Smartphone spielen und dann als erstes in ihren Kontakten nach Magnus‘ Telefonnummer gucken, nahm Michelle von ihrem Angebot schnell wieder Abstand… 😀
Im Verlauf des Abends dann das nächste Highlight: Seit 18 Uhr schon lief nebenan das Lasker-Blitzturnier mit 3+2 Minuten Bedenkzeit, und als ich nach 22 Uhr dort vorbeischaute, spielte zu meiner Überraschung Fabiano Caruana dort mit! An Brett 1 machte er gerade seine Teilnahme am Finale klar, welches er dann gegen Falko Bindrich spielte. Ich hatte einen super Stehplatz, gleich neben dem Tisch, in der zweiten Reihe, und war somit ganz dicht dran am Geschehen. Fabiano gewann beide Partien und damit das Turnier, und hatte somit am Freitag und am Samstag jeweils eine Bundesligapartie gespielt und dann noch von 18 bis 23 Uhr das Blitzturnier. Der Mann hat echt Kondition! Und am Sonntag spielte er dann noch mal eine Bundesligapartie…
Sonntag, 3. Tag:
Die Vereinskonferenz endete bereits vormittags, so dass wieder genug Zeit da war, die Bundesligapartien der 11. Runde (Start 10 Uhr) mitzuverfolgen.
Bei so unglaublich vielen Partien, die zeitgleich stattfanden, musste ich wieder eine Auswahl treffen, und diesmal blieb ich anderthalb Stunden neben einem Tisch stehen, wo Matthias Blübaum und Georg Meier von den SF Deizisau gegen Ivan Cheparinov und Wladimir Fedoseev vom SV 1930 Hockenheim kämpften. Georg Meier stand bald auf Gewinn, während Matthias Blübaum mit seiner französischen Verteidigung ein ähnliches Schicksal erlitt wie Meier zwei Tage zuvor im Rubinstein-Franzosen gegen Aronian, und die Partie verlor.
Am späten Mittag schließlich trudelte das große Event aus, die meisten Partien waren gespielt, die Frauen vom SC Königshofen feierten ihre Meisterschaft, und am Chessbase-Stand wurde zusammengepackt.
Fazit: Ein großartiges Schach-Ereignis mit einem tollen Rahmenprogramm!
Eine wunderbare Idee, die Vereinskonferenz in dieses Bundesliga-Schach-Wochenende mit einzubetten. Die Themen fand ich allesamt spannend, die Referenten ausnahmslos top, und dass ich die Gelegenheit hatte, sehr vielen Spitzenspielern nebenan „live“ zugucken zu können, das war außergewöhnlich. Ich hoffe, dass DSB und DSJ auch im nächsten Jahr diese Vereinskonferenz wieder anbieten. Dann bin ich wieder mit dabei.
Links:
Infoseite der Deutschen Schachjugend mit dem Programm der Vereinskonferenz:
https://www.deutsche-schachjugend.de/termine/2019/bundesvereinskonferenz/
Offizielle Seite der Schachbundesliga für Berlin 2019:
https://www.schach2019.berlin/de/
(u.a. viele Bilder, Videos, Ergebnisse…)
Blübaum gegen Cheparinov:
https://chess24.com/de/watch/live-tournaments/schachbundesliga-2018-2019/11/2/3
Berichte auf chessbase.de:
Runde 9:
https://de.chessbase.com/post/bundesliga1819-runde9
Runde 10:
https://de.chessbase.com/post/bundesliga1819-runde10
Runde 11:
https://de.chessbase.com/post/bundesliga1819-runde11
Last Updated on Dezember 2, 2020 by Babette