Da der sogenannte „Wellenbrecher“-Lockdown mit einem Verbot von Sportveranstaltungen einhergeht, müssen wir mindestens den ganzen November wieder auf das bewährte Format unserer Onlinevereinsabende per Videokonferenz donnerstags um 1930 Uhr umstellen. Der verlinkte Artikel enthält ausführliche Informationen zu den technischen und sozialen Aspekten einer solchen Veranstaltung und wurde auf den Webseiten vom NSV und LSB während der Schließung im Frühjahr und Sommer empfohlen. Mittlerweile habe ich ein besseres Video als dort für den DSB-Wettbewerb „Schach dem Virus“ angefertigt. Die Bearbeitung der Eingänge ist dort aber offenbar den internen Verwerfungen zum Opfer gefallen; jedenfalls wurde unser Beitrag nie veröffentlicht. Das ist um so ärgerlicher, als wir explizit die Information anderer beabsichtigt hatten und keineswegs nur uns selbst in einem guten Licht präsentieren wollten.
An dieser möchte ich einmal die Gelegenheit ergreifen, meinem Ärger Ausdruck zu verleihen, was ich im Internet sonst nur selten tue. Um zu wissen, daß exponentielles Wachstum einen Kippunkt hat, an dem das Wachstum rasant wird, reichen im Grunde Achtklässlerkenntnisse in Mathematik, wenn man simple Funktionsgraphen mit einer Variablen zeichnet. Wir Schachspieler können uns da auch mit der in jedem Anfängerlehrbuch erwähnten Weizen- bzw. Reiskornlegende behelfen, die genau dieses Phänomen verbildlicht. Zwar kommen in der Theoretischen Biologie solche Wachstumsmodelle („Räuber-Beute-Modell“) irgendwann an Grenzen (nämlich wenn das Verhältnis von Infizierten zu Immunen für eine Weiterverbreitung ungünstig wird), aber erst zu einem Zeitpunkt, der im Falle des Coronavirus weit jenseits sinnvoller politischer Planbarkeit liegt. Ergo: man muß das tatsächliche Eintreten des Kippunktes nicht abwarten, um zu wissen, daß Gefahr droht, wenn die Infektionszahlen eine steigende Tendenz aufweisen. Und deswegen ist es enorm gefährlich, wenn Leute wegen lokal niedriger Erkrankungszahlen glauben, auf die Vorsichtsmaßnamen (AHA-L) verzichten zu können. Daß angebliche Privatfeiern, die bei dreistelligen Teilnehmerzahlen kaum in Privaträumen stattgefunden haben werden, dann als Superspreaderereignisse unter Comicfiguren auffallen, ist nicht nur für die unmittelbar Beteiligten tragisch, sondern im Hinblick auf die Allgemeinheit auf fatale Weise unsolidarisch. Und obwohl ich genau weiß, daß Schadenfreude in wirtschaftlichen Zusammenhängen wegen der Kollateralschäden meist sinnlos ist, stößt es mir sauer auf, daß die Fachverbände der Veranstalter jetzt lauthals nach Solidarität wegen ausbleibender Umsätze rufen. Tatsache ist, daß wir Ehrenamtlichen (nicht nur im Sport, sondern z. B. auch im Kulturbereich) mittlerweile unzählige Stunden damit verbracht haben, den Betrieb unter Coronabedingungen zu reorganisieren. Dafür mußten wir Verhandlungen mit Vermietern, Verwaltungen und Gesundheitsämtern führen. Wir müssen ständig wechselnde Verordnungen studieren und ihre Folgen abschätzen. Die Onlineangebote mußten erweitert werden. Wir mußten Hygienekonzepte verfassen und Geld beschaffen, um sie umzusetzen. Und wir werden am Ende feststellen, daß man vielerorten vor diesen für ein „Ehren“-Amt (viel Amt, wenig Ehre) eigentlich unangemessenen Anforderungen kapituliert hat. Und daß auch dort, wo man sich förmlich die Beine ausgerissen hat, Verluste trotzdem eingetreten sind. Der Sport leitet in der Krisenkommunikation seine Wichtigkeit meist aus seinen gesundheitsfördernden und sozialintegrativen Funktionen ab. Richtig so! Aber Sport, Kultur und Soziales sollten auch sehr deutlich betonen, daß sie die Arbeit ihrer Ehrenamtlichen zu beschützen haben, ohne die die Welt ein Ameisenhaufen wäre anstelle einer Kulturlandschaft. Und vor allem sollten sie das nicht erst dann tun, wenn der nächste Lockdown schon wieder an die Tür klopft. Allen die jetzt Solidarität für sich einfordern, sollten wir in vier Wochen, wenn das öffentliche Leben hoffentlich wieder vorsichtig ausgeweitet werden kann, mit Nachdruck Solidarität abverlangen.