Schach in der Kunst
Die Göttinger Handschrift (15. Jhh.) erstmals veröffentlicht in der Festschrift „75 Jahre Niedersächsischer Schachverband e.V. „, Hannover 1999, unter dem Titel: „Über die 500 Jahre alte Göttinger Handschrift Philos.85“. Die Niedersächsische Staats- und Universitäts-Bibliothek Göttingen führt unter der Signatur „Philos 85“ ein Büchlein, das große Bedeutung für die Schachgeschichte hat. Es ist eines der frühesten Belege, die wir über das Schachspiel in seiner jetzigen Form zur Verfügung haben. Die heutige Gangart der Schachfiguren hat sich im wesentlichen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eingebürgert. Die entscheidenden Schritte waren, dass der schwerfällige Wesir, der nur je ein Feld in diagonaler Richtung ziehen konnte, durch die Dame abgelöst wurde und der Alfil, der diagonal nur auf das übernächste Feld springen durfte und damit überhaupt nur insgesamt 8 Felder des Schachbrettes betreten konnte, sich zu unserem heutigen Läufer entwickelte. Nur die Rochade gab es noch nicht in ihrer gegenwärtigen Form und auch für die Bauernumwandlung und das Die Göttinger Handschrift enthält 12 Partieanfänge mit den neuen Schachregeln und 30 Schachaufgaben, unter denen auch welche sind, bei denen noch die alten Regeln angewendet werden. Die „Erste Regel“ beschreibt einen Partieanfang, der in moderner Darstellung so aussieht 1.e4 e5 2.Sf3 f6 3.Sxe5 fxe5 4.Dh5+ Ke7 5.Dxe5+ Kf7 6.Lc4+ d5 7. Lxd5+ Kg6 Die Göttinger Handschrift beschreibt die Züge umständlich, ganz ähnlich, wie das zuweilen noch bis in die achziger Jahre in der angelsächsischen Schachliteratur in abgekürzter Form geschah. Die beiden bedeutendsten Schachhistoriker des vorigen Jahrhunderts, der holländische Philosoph Antonius van der Linde und der deutsche Diplomat Tassilo von der Lasa, waren übereinstimmend der Meinung, die Göttinger Handschrift sei die älteste erhalten gebliebene Quelle, die das neue Schach mit Dame und Läufer behandelt. Das ist heute umstritten. Über die Herkunft der Göttinger Handschrift weiß man nicht viel. Die Anrede „dominatio“ in der ersten Zeile deutet darauf hin, dass sie für einen Fürsten angefertigt wurde. Das hat zu Spekulationen verführt. Meine Phantasie wird eher angeregt durch die freigehaltene Stelle am unteren Rand der ersten Seite (s. Abbildung): Es sieht ganz so aus, als sei geplant gewesen, dort ein Wappen einzufügen. Und da es am Ende des Büchleins noch drei schon linierte freie Seiten gibt, von denen zwei mit leerem Diagramm versehen sind, scheint es mir so, als sei kurz vor der Fertigstellung etwas dazwischen gekommen und der Fürst, für den das Buch bestimmt war, hat es nie bekommen. Vielleicht ist uns dieses herrliche Schriftstück erhalten geblieben, weil es nie in einer fürstlichen Schatzkammer lag, sondern mehr oder weniger unbeachtet geblieben ist. Sicher ist nur: die Göttinger Universitätsbibliothek hat die Handschrift im September 1752 von Dr. med Fr. Boerner geschenkt bekommen. Vorn im Buch kann man dessen Widmung lesen. Ganz oben darüber befindet sich der Schriftzug ‚J. B. Hautin‘, offensichtlich der Name eines früheren Besitzers. Namen sagen uns nicht viel. Schachspieler sprechen zu uns mit ihren Zügen; und da kann sich der Verfasser der Göttinger Handschrift durchaus sehen lassen. 1.e4 e5 2.Sf3 f6 3.Sxe5 fxe5 4.Dh5+ Ke7 5.Dxe5+ Kf7 6.Lc4+ d5 7.Lxd5+ Kg6 8.Dg3+ Kf6 9.Df4+ Kg6 10.Df7+ Kg5 11.d3+ Kg4 12.Df3+ Kh4 13.g3+ Kh3 14.Dh5+ Kg2 15.e5+ Dagegen war der Verfasser der Göttinger Handschrift vor 500 Jahren offensichtlich ganz auf der Höhe seiner Zeit. Seine „Octana Regula“ beschreibt eine Partie mit modern anmutenden Angriff und Gegenangriff: 1.e4 e5 2.Sf3 d6 3.Lc4 f5 4.d3 f4 5.d4 Df6 6.Sc3 c6 7.h3 Le6 8.d5 Ld7 9.dxc6 bxc6 10.b4 Le6 11.Lb3 Sh6 12.Lb2 a6 13 Tf1 Sf7 14.Kg1 (Rochade in zwei Zügen) 14…Le7 15.Lxe6 Dxe6 16.a4 g5 17.Sh2 h5 18.f3 Sh6 19.b5 Tg8 20.De2 g4 21.fxg4 hxg4 22.Sxg4 Sxg4 23.hxg4 Txg4 24.bxc6 Sxc6 25.Sd5 Ld8 26.c4 Ta7 27.Tf2 Th7 28.Dd1 Dh6 29.Kf1 Dh5 30.Df3 Dg6 31.Dd3 Th1+ 32.Ke2 Txa1 33.Lxa1 Txg2 Vielleicht etwas umständlich, aber ohne grobe Fehler. Wenn da nicht, den damaligen Regeln entsprechend, die weiße Rochade in zwei Zügen (13. und 14. Zug) durchgeführt worden wäre, dann könnte auch bei uns in der Bezirksliga solch eine Partie mit Bauernsturm gespielt worden sein. Es ist schon schön, dass wir so ‚was Feines hier bei uns in Niedersachsen liegen haben! |
Diese Seite wurden von der alten Webseite importiert. Ihre Darstellungsqualität ist möglicherweise eingeschränkt, weil sie inkompatiblen Code enthält.
Last Updated on Juni 4, 2019 by Ingram Braun